Deutsches Judenprogrom 1938 und israelischer Völkermord in Gaza heute

Seit vielen Jahren führt die Historikerin Gisela Blomberg zum Gedenken an die Reichspogromnacht (9.11.1938) in wechselnden Stadtteilen Düsseldorfs zu Häusern, deren Bewohner diesem von den Nazis organisierten Pogrom zum Opfer fielen, und berichtet über das Schicksal der davon betroffenen jüdischen Menschen. Der diesjährige Rundgang – an dem 19 Menschen von Anfang an teilnahmen, mehrmals interessierten sich aber auch Passanten für einzelne Stationen – führte durch die Grunerstraße in Düsseltal. Neu war, dass der Rundgang erstmals nicht für die VVN durchgeführt wurde, sondern im Namen unseres Friedensforums, in dem sich Gisela Blomberg, seit ihrem Austritt aus dem Vorstand der VVN-BdA Düsseldorf, verstärkt engagiert. Auch über ihre Gründe für diese Entscheidung hatten wir Euch schon informiert.

Auf die oft mit großem Aufwand recherchierten Erläuterungen zu den Opfern des Pogroms – nur für wenige gibt es Stolpersteine – können wir nicht eingehen; aber wenigstens die Bemerkungen G.B’s zu Beginn und am Ende der Führung wollen wir hier dokumentieren:

Einleitende Bemerkung:

Im Namen des Düsseldorfer Friedensforums möchte ich Sie/Euch herzlich zu unserem heutigen Gedenkgang begrüßen.

Wir gedenken der Menschen, die im Novemberpogrom vor 86 Jahren von den SA- und SS-Horden und auch von der Polizei überfallen wurden, deren Wohnungen und Geschäfte verwüstet wurden, die misshandelt und sogar ermordet wurden. Allein in Düsseldorf gab an die 500 Überfälle, 70 Verletzte, 13 Tote, 82 Männer wurden in das KZ Dachau deportiert.

Diese Verbrechen fanden in einer historischen Situation statt, in der nach fünfeinhalbjähriger faschistischer Herrschaft kein Hehl mehr daraus gemacht wurde, dass, nachdem alle jüdischen Menschen zu Feinden der deutschen „Volksgemeinschaft“ erklärt worden waren, ihnen in Deutschland jegliche Lebensgrundlage genommen werden sollte.

Die Novemberpogrome fanden im letzten Friedensjahr statt, sie waren Verbrechen auf dem Weg in den imperialistischen Krieg.

Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass der faschistische Antisemitismus als Staatsdoktrin und -praxis mit all seinen Gewalttaten auch der Zurichtung des deutschen Volkes diente: d.h., seit 1933 wurde dem deutschen Volk auf der einen Seite der Wahn vom Herrenvolk eingeimpft, auf der anderen Seite die antisemitische Lüge vom vorgeblichen „bolschewistischen Weltjudentum“, das danach trachte, die deutsche Herrenrasse zu vernichten. Gesellschaftliche Widersprüche sollten sich nicht im Klassenkampf, sondern im „Rassenkampf“ entladen.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich unsere Geschichtsarbeit von der offiziellen Darstellung des Holocausts, in der diese Zusammenhänge ausgeblendet werden.

Nicht nur jüdische Menschen wurden zu Feinden der deutschen Herrenrasse erklärt. Die Nazis, denen der Mord an Gegnern und angeblichen Rassefeinden keinerlei Skrupel bereitete, erklärten auch die Slawen, die Sinti und Roma und die Menschen des afrikanischen und asiatischen Kontinents zu Untermenschen. Die Mehrheit der Weltbevölkerung sollte vom deutschen Herrenvolk beherrscht und seinen Interessen unterworfen werden.

Jegliche Solidarität und Mitgefühl mit den vermeintlichen Feinden wurden dem deutschen Volk seit der Machtübergabe an die Faschisten systematisch ausgetrieben, eine Vorbedingung für die Umsetzung der geplanten Ausbeutung der weltweiten Ressourcen und des Abschlachtens von Millionen von Menschen im bevorstehenden Krieg.

Schlussbemerkung:

Erlaubt mir am Ende des Rundgangs noch eine Bemerkung zu der aktuellen Situation.

Es muss nicht betont werden, dass wir jeden Antisemitismus wie jeglichen Rassismus ablehnen. Aber mit der jetzt vom Bundestag verabschiedeten Antisemitismus-Resolution soll die berechtigte Kritik an der völkerrechtswidrigen Politik der israelischen Regierung als Antisemitismus diffamiert werden. Diese Resolution bezweckt auch die Ausschaltung jeglicher Kritik an der bundesdeutschen „Staatsräson“, mit der der Völkermord in Gaza als Selbstverteidigung Israels gerechtfertigt wird. Der Holocaust kann nicht mit einem Völkermord an den Palästinensern gesühnt werden!

Die Solidarität mit dem palästinensischem Volk wird – wie wir das nicht nur an dem Verbot der Palästina-Solidarität Duisburg sehen – kriminalisiert. Dagegen müssen wir uns wehren, unsere Solidarität und Mitgefühl gilt den Unterdrückten in dieser Welt. Die deutsche Politik gegenüber Israel ist inhuman, ist gleichgültig gegenüber dem Leid der Menschen in Palästina und im Libanon. Sie ignoriert das Völkerrecht und isoliert Deutschland in der Welt.

Als Friedensbewegung fordern wir von der Bundesregierung ein Ende statt der Verdopplung der Waffenlieferungen an Israel. Die Bundesregierung darf nicht weiter die Verstöße der israelischen Regierung gegen das Völkerrecht, gegen die Menschenrechte und gegen die Völkermordkonvention unterstützen!

Ein Disput zur Geschichte und Rolle Israels

In diesem Zusammenhang dürfte auch eine Disput interessieren, den Caitlin Johnstones Artikel zum Wahlausgang in den USA ausgelöst hat, den wir am 8.11. in einer versehentlich an einen offenen Verteiler gerichteten Rundmail verschickt hatten.

Eine Adressatin hat darauf mit folgender Bemerkung reagiert:

‚Das kriegshetzerische zionistische Völkermordmonster‘?? 
Israel hat diesen jüngsten Krieg um die Hoheit über Palästina nicht begonnen und nicht gewollt! ‚Das Land‘ ist auch nicht ‚geklaut‘ – es wurde den weltweit verfolgten jüdischen Menschen als Heimstätte zugesprochen.- Israel ist ein friedlicher, demokratischer Staat, in dem Juden und Araber mit den gleichen Rechten leben. Allerdings wurde dieser Staat von Anfang an von seinen Feinden rundherum bekämpft und Israel ist bis heute gezwungen, sich gegen diese Feinde zu behaupten bzw zur Wehr zu setzen!

Martin Leo, ein heute in Portugal lebender deutscher Politikwissenschaftler, der ebenfalls unseren Rundbrief bezieht, hat darauf ausführlich und sehr kenntnisreich geantwortet – in einem Brief, der allerdings nur an die Autorin des vorigen Schreibens ging. Wir halten seine Antwort, die er auch  uns zur Kenntnis bringt und in Einklang mit den Positionen unseres Friedensforums steht, aber für so wichtig, und  dass wir sie heute ebenfalls weiterverbreiten wollen:

Sie haben in einen großen Verteiler Ihre Meinung kundgetan zur Äußerung, dass Israel ein „kriegshetzerisches zionistisches Völkermordmonster“ sei.

Ich möchte kurz darauf eingehen. Ich habe viel gelernt von Menschen mit jüdischer Abstammung, die Israel einst genauso gesehen haben, wie Sie es darstellen, als hätte sich seitdem nichts geändert: Ja, Israel sollte (auch!) die Heimstätte der Überlebenden und Verfolgten sein. Ich kenne auch keine wichtige politische arabische Stimme, die Israel generell noch ein Existenzrecht absprechen würde. Doch heute geht es längst um das Existenzrecht Palästinas. Die Forderung, Israels Existenzrecht anzuerkennen, spielte besonders in den siebziger Jahren eine wichtige Rolle. In der einen oder anderen Weise erfolgten diese Anerkennungen im Laufe der Zeit auch. Sie wissen hoffentlich, dass das eine Voraussetzung für den Osloer Prozess war, der jedoch auch einen lebensfähigen palästinensischen Staat vorsah. Diese Anerkennung des israelischen  Existenzrechts ist keineswegs so eine Selbstverständlichkeit, wie sie ausgerechnet zum Beispiel  den Nachfahren der deutschen Holocaust-Verantwortlichen erscheinen mag.

Sie selbst schreiben locker, das Land sei den Juden „zugesprochen“ worden. Es stimmt. Das war ein UNO-Beschluss. Nichtsdestotrotz hatte man sich hier über die Rechte der dort schon lebenden Menschen hinweggesetzt. Der Beschluss war einerseits geprägt vom Holocaust und andererseits von einer Zeit, in der koloniales Denken und Bevormundung anderer Völker gewöhnlich waren.

Wir sollten heute anerkennen, dass die Menschen, die dort seit Jahrhunderten lebten, nicht gefragt wurden. Sie mussten überlebende Menschen für das, was deutsche Faschisten ihnen angetan hatten, entschädigen. Weshalb hat man den Verfolgten nicht Bayern gegeben und die Deutschen ausgesiedelt? Ich hoffe, Sie verstehen, wie ich das meine.

An der europäischen Besiedlung Palästinas hatten  die Großmächte ein ganz eigenes Interesse. Insbesondere Großbritannien, das hier weiteren Einfluss behalten wollte. Und man begreift Israel auch nicht, wenn man den Zionismus und die im Grunde europäisch-kolonialen Ideen von Herzl aus dem 19.Jahrhundert nicht einbezieht. Das entstand natürlich auch im Kontext von Verfolgung, war aber selbst eine rassistische Idee, die lange vor dem Holocaust entstand. Der Zionismus stand also immer Pate bei der Gründung Israels.

Das sollte man wissen, um ein gerechtes Urteil zu fällen.

Was dann im Zuge der Gründung folgte, waren Massenmord und Vertreibung von Arabern, die dort ihre Heimat hatten. Wenn man dem Staat Israel heute ein Existenzrecht zugesteht, dann kann diese Zusicherung überhaupt nur im Zusammenhang mit dem Existenzrecht eines palästinensischen Staats aufrechterhalten werden. Auch er war Teil des Beschlusses der Vereinten Nationen.

Ihre Meinung lässt ein erschreckendes Maß an Unwissen erkennen. Wissen Sie denn nicht, dass Israel der meines Wissens einzige Staat der Welt ist, der seine staatlichen Grenzen nie definiert hat, zum Beispiel in einer Verfassung? Wissen Sie nicht, dass der jetzige israelische Premier vor der UNO Karten gezeigt hat, die Teile der arabischen Nachbarstaaten als Israel ausgewiesen haben? Wissen Sie nicht, dass das jetzige Israel seit 1967 arabisches Gebiet besetzt hält, obwohl das gegen das Völkerrecht und UN-Beschlüsse verstößt? Wissen Sie nicht, dass regierende (!!) israelische Faschisten ihre Gebietsansprüche auf das gesamte Westjordanland und Gaza und andere Gebiete auch religiös begründen? Kennen Sie nicht den Beschluss der Knesset von 2019, mit dem spätestens ein Apartheidstaat südafrikanischen Musters errichtet und Araber weitgehend entrechtet wurden? Israel wurde zum Staat der Juden erklärt. Ich bitte Sie – was ist das? Ist das ein Staat, der allen Menschen gleiche Rechte gibt? Das sind doch Fakten, die man nachlesen kann. Israel ist seitdem auch formell nicht ein Staat aller dort lebenden Bürger, sondern eben ausschließlich der Juden. Eine Religion wird zur Grundlage eines Staats erklärt. Im Falle der islamischen Republik Iran fand man dazu „im Westen“ klare Worte. 

Im Zionismus gibt es Rechte und Linke. Aber auch die linken Zionisten sind nicht der Meinung, dass alle Menschen in Israel gleiche Rechte haben sollten. Sie sind nur weniger aggressiv. Die rechten Zionisten vertreten die Idee der Vertreibung und der ethnischen Säuberung. Als Antirassist und Antifaschist kann man hier nicht gleichgültig bleiben und sich mit Israel solidarisieren, vielleicht weil man meint, dies sei man Israel gerade als Deutscher schuldig.

Kennen Sie nicht prominente jüdische Stimmen aus Israel wie die von Ilan Papé, die uns Deutschen immer wieder zu erklären versuchen, dass Antisemitismus eine Spielart des Rassismus ist und der Zionismus selbst eine rassistische Idee ?

Oder gehören Sie zu denen, die solchen Juden erklären, sie seien gar keine richtigen Juden, sondern Antisemiten? Es gibt ja heute wie früher Deutsche, die meinen, bestimmen zu können, wer Jude ist und wer nicht.

Ich fühle mich ganz und gar nicht verpflichtet, mich hinter dieses Israel zu stellen. Im Gegenteil.

Momentan scheinen die Israelis in der Minderheit zu sein, die ihre eigenen Extremisten als Ursache für die Gewalt erkennen. Tausende verlassen das Land, auch weil sie es immer weniger wieder erkennen. Bei uns im politischen Westen tut man so, als habe die Gewalt erst mit dem 7.10.23 begonnen.

Weshalb verweigert man den Palästinensern seit Jahrzehnten ihr Recht auf einen lebensfähigen und von Israel unabhängigen Staat? Und ist Ihnen bekannt, dass der israelische Inlandsgeheimdienst, sozusagen das israelische FBI, aktuell gegen die Regierung ermittelt, um herauszufinden, ob sie den 7.10. „passieren ließ“, wofür es viele Indizien gibt? Ist Ihnen bekannt, dass Joe Biden in den letzten Jahrzehnten mehrmals sagte, wenn es Israel nicht schon gäbe, müsste man es erfinden, weil es für die US- Interessen unverzichtbar und so etwas wie ein unsinkbarer Flugzeugträger ist? Ist die Ermordung von Zehntausenden Zivilisten in Gaza, sind die ständigen Übergriffe gegen andere Länder wie Libanon und Syrien oder Irak, die Ermordung politischer Repräsentanten und sogar von Verhandlungsführern etwas anderes als staatlicher Terrorismus und Völkermord?

Leider muss ich Ihnen erklären, wenn Sie es nicht begreifen, dass genau diese Politik heute die Existenz auch eines demokratischen Israels tatsächlich gefährdet. Israel ist heute ein terroristischer Unrechtsstaat. Wir dürfen gerade als Deutsche nicht wieder die Augen vor Völkermord verschließen.

Was Sie hier leichtfüßig erklären, ist die Rechtmäßigkeit des Völkermords, weil man sich ja nur wehre.

Ehrlich gesagt ist das noch schlimmer als das, was sich unsere Vorfahren vorzuwerfen haben. Denn diese konnten sich wenigstens zu einem Teil damit herausreden, nicht alles gewusst zu haben. Das traf sicher auch auf einige Menschen zu, obwohl ihnen Ausgrenzung nicht entgangen sein konnte.

Heute erklären israelische Politiker vor aller Welt ihre Vernichtungsfantasien und setzen sie in die Tat um. Meines Wissens hat die israelische oppositionelle Zeitung Haaretz alle entsetzlichen Zitate israelischer Politiker  gesammelt. Alle können es wissen und sehen. Es findet vor unseren Augen statt.

Wie kann das sein, dass Sie sich mit so einer unglaublich „naiven“ Erklärung schuldig machen wollen?

Wie kann es sein, dass die Welt scheinbar zusieht? Es ist die Angst davor, dass dieses „Monster“ Atomwaffen einsetzen könnte. Es ist die Angst davor, dass sein Schutzpatron USA andere Länder in Schutt und Asche legen könnte. Aber wie soll man Haltungen wie Ihre moralisch noch rechtfertigen können?

Können Israelis oder Menschen mit jüdischer Abstammung keine Faschisten sein? Natürlich können sie das.

Dieser rechtsextreme Staat von religiösen Fanatikern reißt das israelische Volk selbst in den Abgrund.

Wenn diese Leute straflos bleiben, wird das echten Antisemitismus in der Welt befördern. Dann wird es heißen, sie dürften diese Verbrechen begehen, „weil sie Juden sind“. Alle antisemitischen Stereotypen werden wieder auferstehen.

Es gibt für Israel als wirklich demokratischen Staat nur eine Zukunft, wenn es alle besetzten Gebiete aufgibt und alle palästinensischen Rechte anerkennt. Israel wird sonst in einem Zermürbungskrieg, den es nicht gewinnen kann, wirtschaftlich, militärisch und insbesondere moralisch untergehen und das auch verdienen. Ausgerechnet Israelis werden sich eines Tages schämen müssen für das, was in ihrem Namen angerichtet wurde.

Veröffentlicht von FriFoAdmin

Friedensforum in Düsseldorf